Saskia
Lehrerin und Corona-Patientin
Als Studienrätin und Mutter von zwei kleinen Kindern ist Saskias Alltag eng getaktet und oft startet die Familie bereits voller Stress in den Tag. So war der erste Lockdown und die mit sich bringende Entschleunigung in mancher Hinsicht für die Lehrerin eine echte Wohltat. Sie selbst und ihr Mann standen nicht mehr unter ständigem Zeitdruck und konnten sich die täglich anfallenden Aufgaben in der Kinderbetreuung und zu Hause besser einteilen. „Es war eine sehr intensive und nahe Zeit für die Geschwister und unsere ‚kleine‘ Familie. Ich habe das Gefühl, dass meine beiden Kinder ein wunderbares Verhältnis zueinander entwickelt haben und das hat die gemeinsame enge Zeit ihnen ermöglicht. Davon profitieren die beiden auch in Zukunft noch.“
Ihren Beruf als Lehrerin übt Saskia im ersten Lockdown oft zu ungewöhnlichen Zeiten aus, um die Betreuung ihrer Kinder und ihrer Schüler unter einen Hut bringen zu können. Bis spät in die Nacht korrigiert die 38-jährige die Aufgaben ihrer Schüler, beantwortet ihre zahlreichen Rückfragen und bereitet den Online-Unterricht vor. Was für einen reibungslosen Ablauf fehlt, ist ein Konzept für die Beschulung ihrer Schützlinge aus der Distanz. Doch darauf warten Saskia und ihre Kolleg*innen noch lange vergebens.
In dieser Phase verschiebt sich der Fokus der Lehrerin deutlich von der Arbeit auf ihre Kinder. Es werden gemeinsam lange immer wieder verschobene Projekte wie der Bau eines Hochbeets umgesetzt und das ganz ohne Zeitdruck. „Ich habe das sehr genossen und durch die Vermeidung vieler Alltagsquerelen waren die Kinder gut drauf und entspannter. Irgendwann haben sie ihre Freunde schon vermisst, aber es hat auf jeden Fall gezeigt, dass der Kinderrhythmus nicht mit dem doch sehr streng getakteten Alltagsrhythmus kompatibel ist. Darauf möchte ich auf jeden Fall in Zukunft achten, dass die Kinder mehr Raum bekommen. Auch hat es zu dem Wunsch geführt weniger zu arbeiten, um mehr ‚unverplante‘ Zeit zu haben.“ So hat Saskia nun den Antrag auf Reduzierung ihrer Arbeitszeit gestellt.
Nicht nur in ihre Familie bringt der erste Lockdown mehr Ruhe. Auch der sehr eingeschränkte Flugverkehr sorgt dafür, dass die Lärmbelästigung rapide abnimmt und viele Tiere wie Vögel und Eichhörnchen ihren Lebensraum rund um Saskias Haus zurückerobern. „Das hat man vorher irgendwie als gegeben hingenommen und jetzt sind uns in der Siedlung die Auswirkungen vor Augen geführt worden.“, so die 38-jährige. „Der eingeschränkte Flugverkehr hat auch zu besseren Luftverhältnissen geführt. Meine Kinder mussten vorher regelmäßig ‚Salzluft‘ inhalieren, das ist nun nicht mehr notwendig. Das finde ich einen großen Gewinn.“
Ganz anders empfindet die hessische Lehrkraft dann jedoch den zweiten Lockdown rund um Weihnachten. Die Entscheidung, die Schulen nach den Winterferien im Januar 2021 nicht zu öffnen, trifft die Politik viel zu kurzfristig. Das bedeutet für die Lehrer*innen einen unfassbaren Aufwand an Organisation und kostet Saskia viele schlaflose Nächte. Vom zu diesem Zeitpunkt herrschenden Lockdown bemerkt die 38-jährige unter der Woche so gut wie nichts. Ihre Kinder gehen von Montag bis Donnerstag in den Kindergarten, verbringen den Freitag mit ihren Großeltern und sie selbst gibt Präsenz- oder Onlineunterricht. „Der Unterricht ist im zweiten Lockdown deutlich besser organisiert und die Schüler*innen und ich verfügen über entsprechende Kenntnisse mit der Lernplattform sowie dem Umgang mit den Videobesprechungen. Entsprechend konzentriert sich die Arbeit der Wochenaufgaben (Kontrolle und Erstellen) auf das Wochenende und ich arbeite zwar auch in den Abendstunden, aber nicht mehr bis ein oder zwei Uhr nachts. Der zweite Lockdown ist mit Kinderbetreuung besser händelbar für uns.“
Der große persönliche Schock in der Corona-Pandemie trifft die Familie Ende September 2020. Saskia und ihr Ehemann infizieren sich mit dem Virus. Die zwei Kinder im Alter von drei und sechs Jahren sind symptomfrei und topfit, müssen natürlich aber in die häusliche Isolation. Für die kranken Eltern eine belastende Situation. „Es war schwierig gesund zu werden und leider hatte ich noch relativ lange Beschwerden. Obwohl ich einen ‚milden‘ Verlauf hatte (grippeähnlich), habe ich manchmal auch heute noch Langzeitfolgen neuronaler Art bspw. Gelenkentzündungen, Zahnschmerzen, Kurzatmigkeit und Erkaltung des Körpers/ eingeschlafene Gliedmaßen.“ Saskias Körper ist nach der Erkrankung müde, sowohl der Muskelapparat als auch die konditionellen Fähigkeiten sind deutlich geschwächter als nach einer Grippeerkrankung. Bis heute trainiert sie den Körper noch auf, macht wieder regelmäßiger Sport und nimmt sich dafür ganz bewusst Zeit.
Als Pädagogin sieht sie die Entwicklung der Schulkonzepte in der Pandemie kritisch. „Ich verstehe die Maßnahmen im Großen und Ganzen, sehe aber inzwischen die Auswirkungen auf die Schüler*innen (psychische Probleme, Essstörungen, depressive Gedanken/Depression) und es macht mich ein bisschen fassungslos, dass in all der Zeit, die inzwischen vergangen ist, keine anderen Konzepte für die Schule angegangen wurden als Abstriche vom Regelbetrieb zu machen (Hybridunterricht, Masken, Lüften) und auf die Hoffnung zu bauen, irgendwann wieder in den Regelbetrieb zurückzukehren.“, so die Lehrerin. „Ich finde die soziale Isolation junger Menschen inzwischen sehr grenzwertig und hätte mir für die Schule ein Abweichen der Inhalte/ Curricula gewünscht bspw. hin zu Projektarbeit.“ Den vorherrschenden Online-Unterricht hält die Darmstädterin zwar für eine notwendige Ergänzung und Überbrückungsmöglichkeit. Doch er zeigt auch ganz klare Schwächen: Denn nicht nur der Lehrstoff, sondern vor allem die Pädagogik, die Lehrpersönlichkeit und das Miteinander entscheiden letztendlich über den Lernerfolg der Schüler.
In der Gesellschaft beobachtet Saskia mittlerweile immer seltsamere Verhaltensweisen: „Die Solidarität und das Verständnis gehen mehr und mehr verloren und das Beäugen und moralische Urteilen über andere gewinnt an Raum. Ich denke, dass sehr viele Familien hohen Belastungen auf unterschiedliche Weise ausgesetzt sind und da schaut nun jeder für sich ‚wo er bleibt‘. Das empfinde ich inzwischen als sehr unangenehm und der Ton im Miteinander ist deutlich rauer geworden.“ Auch die starke Mehrfachbelastung, die für viele Frauen seit Beginn der Corona-Pandemie Alltag ist, sieht sie als problematisch. Zwischen der Rolle als Mutter, Berufstätige, Frau und Haushaltsverwalterin scheinen sich die meisten aufzureiben. „Ich finde, dass ein unheimlich hoher (Rechtfertigungs-)Druck auf Frauen lastet, diesem allen ‚perfekt‘ zu entsprechen. Politisch und gesellschaftlich wird diesbezüglich nicht mal über Alternativen nachgedacht, außer ein ‚Betreuungsgeld‘ auszuzahlen.“, erzählt die Studienrätin. „Ich glaube aber, dass viele Frauen mehr Zeit bräuchten und nicht mehr Geld. Es wurde und wird davon ausgegangen, dass man einfach das gleiche Pensum weiterarbeitet und die Kinder betreut und wenn man darüber klagt oder dies nicht so perfekt hinbekommt, bspw. Abstriche auf der Arbeit macht oder die Kinder doch zu den Großeltern gibt, wird schön die moralische Keule ausgepackt.“
Saskia ist es wichtig, dass klar wird: Viele Frauen, so wie sie selbst, möchten auch mit Kindern weiterarbeiten und somit von zwei Welten, der als Mutter und der der Berufstätigen, profitieren. Aus ihrer Sicht sind Alternativkonzepte wie Homeoffice-Angebote oder die Reduktion der Wochenstunden bei angemessener Bezahlung längst überfällig.