Eleonore

Opernsängerin

Seit 21 Jahren waren die Bühnen der Welt das Zuhause der Sopranistin Eleonore. Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie in Deutschland im März 2020 tritt die 42-jährige nicht mehr in der Mailänder Scala, der Wiener Staatsoper, auf den Bregenzer Festspielen oder in der Semperoper in Dresden auf, sondern meistens in ihrem Wohnzimmer in Weimar. Theater, Oper oder Schauspiel sind in Corona-Zeiten in ihrer ursprünglichen Form undenkbar. Alle Darsteller sind angehalten aufgrund der beim Singen oder Sprechen vermehrt austretenden Aerosole ein Mindestmaß an Abstand zu halten. Doch wie soll das funktionieren, wenn man beispielsweise ein Liebespaar auf der Bühne spielt?

Statt auf großer Bühne übt die Opernsängerin Eleonore nun im Wohnzimmer

Gerade beim Singen sollen laut Studien vermehrt die winzig kleinen Teilchen produziert werden, die sich oft stundelang in Innenräumen in der Luft halten. Einziger Ausweg schien ausgesuchte Veranstaltungen ins Freie zu verlegen. Somit brachten die Sommermonate ein wenig Erleichterung für Eleonore und ihre Kolleg*innen. Denn einige Theater und Opernhäuser stellten sich der großen Herausforderung, corona-konforme Liederabende oder Theaternächte für ein ausgewähltes Publikum in Gärten, Parks oder Innenhöfen zu organisieren – und auch in Eleonores eigenem Garten fanden Konzerte mit 60 Gästen statt. Doch nun spitzt sich die Lage über die Wintermonate wieder dramatisch zu.

Die Zeit des Lockdowns empfand Eleonore als sehr bedrückend. Von heute auf morgen fiel das enge Zusammensein mit Freunden, das Reisen zu Auftrittsorten und das gemeinsame Musizieren weg. Von der gefeierten Opernsängerin wurde die 42-jährige zur Lehrerin ihrer zwei Kinder im Alter von 10, 13 und einer 15jährigen kolumbianischen Austauschschülerin. Doch gerade darin sieht sie auch das Positive des Lockdowns: „Es war eine gemeinsame Familienzeit zuhause mit mehr Möglichkeiten, weil keiner von uns beruflich reisen musste.“ Und mit einem Schmunzeln fügt die Sängerin hinzu: „Vielleicht das Beste an Corona: Meine Kinder waschen jetzt viel öfter ihre Hände.“ Doch viel mehr Positives fällt ihr dazu nicht ein.

Viel größer sind die Entbehrungen, Sorgen und Ängste, mit denen die Sopranistin täglich kämpft. Ihre Eltern gehören mit Vorerkrankungen zur Risikogruppe, doch beide Seiten möchten nicht auf den persönlichen Kontakt – selbstverständlich mit Abstand – verzichten. Eleonore vermisst es, ihre Eltern, Verwandte oder Freunde in den Arm zu nehmen und ungezwungen mit ihnen Zeit zu verbringen.

Und auch beruflich muss die früher viel engagierte Künstlerin hohe Einbußen in Kauf nehmen. Ihre Arbeit kann sie nur sehr eingeschränkt wahrnehmen, denn Proben und Auftritte mit vollem Orchester auf engem Raum und nahem Kontakt zu Kollegen sind tabu. Planungssicherheit gibt es keine mehr – früher konnte die Sopranistin ihre Engagements ein Jahr im Voraus planen. Heute, wenn es gut läuft, gerade mal einen Monat. Das alles wirkt sich natürlich auch sehr stark finanziell auf sie und ihre Familie aus. Denn auch ihr Ehemann ist Opernsänger. „Als Opernsängerin bin ich immer nur für eine Produktion engagiert. Die Veranstalter haben bei Corona oft keine Gagen bezahlt und sich auf höhere Gewalt durch den Lockdown berufen.“ Bis jetzt muss Eleonore auf 65 Prozent ihres Jahreseinkommens verzichten – und ein Ende ist nicht in Sicht! Da waren ein Monat Kurzarbeitergeld und vier weitere mit der Sicherung durch das Arbeitslosengeld 1 nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Das verantwortungslose Verhalten der Veranstalter ist für die Sängerin skandalös und sie will diesen Zustand nicht weiterhinnehmen. Mit dem neugegründeten Netzwerk krea[K]tiv für Freiberufler*innen am Theater will Eleonore betroffene Kolleg*innen anwaltlich unterstützen. „Dagegen klagen will dann aber kaum jemand, denn als Prozess-Hansel wird man vielleicht nie wieder engagiert.“

Vielen ist die besondere Situation, in denen sich die Künstler*innen befinden, nicht bewusst. Hier will die 42-jährige auch aufklären. „Wir gehören zur Gruppe der sogenannten Solo-Selbständigen, Freiberuflern und unständig Beschäftigten, die als Gäste an deutschen Theatern und Opernhäusern neben festangestellten Kolleg*innen seit Jahren vermehrt arbeiten.“ Viele der Sänger*innen, Schauspieler*innen, Tänzer*innen sind zwar ausschließlich an öffentlich finanzierten Opernhäusern und Theatern tätig, fallen jedoch komplett durch das Netz der Hilfsprogramme der Bundesregierung. Noch viel schlimmer: Ohne das Anrecht auf Arbeitslosengeld I rutscht ein Großteil der Künstler*Innen direkt in die Grundsicherung oder müssen von ihrer Altersvorsorge leben. Mit ihrem Netzwerk will die Sängerin auf die Notlage und ernüchternde Realität ihrer Kolleg*innen aufmerksam machen: „Festangestellte Künstler*innen gehen in Kurzarbeit, selbständige Gäste in Hartz 4 – nachdem sie ihre Altersvorsorge bis zum Schonvermögen aufgebraucht haben.“ Ein Fakt der es nur selten ins öffentliche Interesse schafft. Doch für die Sopranistin ist klar: Sie kämpft weiter – für alle Kolleginnen und Kollegen!